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Fragen an Ansprechpartner Dr. Wolfgang Schneiß

Dr. Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus, beantwortet Fragen im Rahmen der Instagram-Reihe "Fragen an..."

„Antisemitismus ist ein Türöffner und Verstärker für viele Ausprägungen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. In einer Zeit, in der die Polarisierungen in unserer Gesellschaft wieder zunehmen, ist der Kampf gegen Antisemitismus eine Aufgabe, die uns alle angeht.“

Wie wichtig ist für Sie Streit und Zusammenhalt in der Gesellschaft?
"Streit und Zusammenhalt in der Gesellschaft schließen sich nicht aus. Unsere Demokratie lebt davon, dass wir um gute Lösungen, um den richtigen Weg streiten.
Wichtig ist, dass dieser Streit regelbasiert und auf zivilisierte Weise ausgetragen wird. Das setzt gewisse Grundüberzeugungen voraus, die innerhalb einer Gesellschaft zumindest mehrheitlich gelten. Nur dann ist Zusammenhalt in einer Gesellschaft möglich. 

Solche Basics sind nach meiner Ansicht zum Beispiel die Würde und die Gleichwertigkeit aller Menschen oder die Freiheit von Meinung, Denken, Glauben. Auch der Konsens, Streit auf gewaltfreie Weise auszutragen oder die Ablehnung von Diskriminierung gehören für mich dazu. 

In den letzten Jahren ist der gesellschaftliche Konsens durch eine Vielzahl von Krisen angefochten. Unter Druck gerät der Zusammenhalt in Gefahr, zum Beispiel, weil unterschiedliche Gruppen sich gegenseitig für eine Krise verantwortlich machen. Der Klassiker in diesem Zusammenhang ist, dass man „die Juden“ verantwortlich macht. Dieses Motiv zieht sich durch die Jahrhunderte und die Zuschreibung, „die Juden“ seien irgendwie schuld, erweist sich heutzutage als erstaunlich und erschreckend aktuell. Antijüdische Vorurteile verfangen augenscheinlich bei großen Teilen unserer Gesellschaft."

Welches Buch empfehlen Sie unbedingt zum Thema Antisemitismus gelesen zu haben?
"Zum Thema „Antisemitismus in Deutschland“ empfehle ich das Buch „Terror gegen Juden“ des Journalisten Ronen Steinke. Das Buch zeigt auf erschreckende Weise, dass antisemitisch motivierte Taten in Deutschland auch nach 1945 keine Ausnahme, sondern für die jüdische Gemeinschaft geradezu beständig präsent sind – und dass wir dies als Mehrheitsgesellschaft immer wieder verdrängt und kaum wahrgenommen haben. Vor allem der Anhang ist bedrückend. Steinke listet auf über 100 kleingedruckten Seiten Vorfall um Vorfall antisemitischer Gewalt auf bis hin zum Terroranschlag von Halle und darüber hinaus. Wer das gelesen hat, kann nie mehr sagen, er habe von alledem nichts gewusst und Antisemitismus würde nur eine untergeordnete Rolle in Deutschland spielen."

Welche Empfehlung können Sie für die Sensibilisierung der Menschen mit dem Thema Antisemitismus und jüdisches Leben aussprechen?
"Meine Empfehlung lautet: persönliche Begegnung. 
Jede und jeder in Deutschland kann, trotz der leider notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, jüdisches Leben persönlich kennenlernen. Synagogen kann man besuchen, Rabbiner kann man befragen, die Angebote der Gemeinden bieten viele Möglichkeiten, das Leben und den Glauben von Jüdinnen und Juden persönlich kennenzulernen. An vielen Orten gibt es zum Beispiel jüdische Kulturtage. 
Ich rate dazu, hier selbst aktiv zu werden. Wo ist eine Gemeinde in meiner Umgebung? Welche Fragen wollte ich eigentlich schon immer mal stellen? Falsche Zurückhaltung ist fehl am Platz. Außerdem: Es gibt inzwischen hervorragende Angebote aus der jüdischen Gemeinschaft selbst, viele gute Bücher, Filme und Podcasts. Vieles davon ist über die Zentralen für politische Bildung in Bund und Ländern kostengünstig erhältlich. 

Wer weiß, wie Juden heute in Deutschland denken, empfinden und leben, der ist auch sensibel, wenn es um das Thema Antisemitismus geht."

Sie sind Ansprechpartner gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt. Was machen Ihre Tätigkeitsbereiche aus und wo liegen die Unterschiede?
"Für und Wider lassen sich in diesem Fall leider nicht trennen. Mein großes Ziel ist es, die jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt zu unterstützen, für sie und ihre Anliegen „ansprechbar“ zu sein, damit sie sich in unserem Land weiter gut entfalten und einfach ein fester Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens werden können. 

Da aber für Jüdinnen und Juden Antisemitismus auch in Sachsen-Anhalt eine alltägliche und alltagsprägende Erfahrung ist, muss dagegen vieles getan werden: durch den Schutz der Einrichtungen, die Hilfe und Beratung für Betroffene, durch ein breites Monitoring, durch Sensibilisierung, Prävention und Intervention. Ein „Beauftragter“ kann hierzu unterstützend wirken. Letztlich handelt es sich aber um eine Aufgabe für unsere ganze Gesellschaft." 

Als wie stark empfinden Sie die Bürgeranfragen zum Thema Antisemitismus? 
"Ich wünsche mir, dass mehr Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt an einem Austausch zu dem Thema jüdisches Leben und Antisemitismus interessiert sind. Die Zahl derjenigen, die sich dafür interessieren oder sogar engagieren, ist noch zu klein. Und die Zahl derjenigen, die sich nicht interessieren, die gleichgültig sind oder sogar auf alt-neue Vorurteile über „die Juden“ hören, ist offenbar größer und leider sogar im Wachsen begriffen. Ich stehe jedenfalls für alle Kontaktanfragen zur Verfügung, halte im Land mit meinem Team Vorträge und versuche ein Interesse für die Thematik zu erwecken. Ich freue mich über Kontaktaufnahmen."

Welche Maßnahmen gegen Antisemitismus werden im kulturelle Leben ergriffen?
"Bildung und Kultur sind ganz entscheidend, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus geht. Denn Antisemitismus hängt immer auch mit Gerüchten, Vorurteilen, Zuschreibungen, Verschwörungserzählungen zusammen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Dagegen können wohl vor allem Bildung, Begegnung und Information etwas ausrichten. 
Die jüdischen Kulturtage sollen z. B. dabei helfen, für viele Menschen im Land einen Einblick zu vermitteln, wie jüdisches Leben heute aussieht, ganz praktisch beim Essen, Feiern, Singen, Gemeinschaft erleben. Die Landesregierung fördert solche Kulturtage in diesem Jahr zum zweiten Mal landesweit. In Zukunft sollen sie alle zwei Jahre stattfinden, und im Jahr dazwischen jeweils in den einzelnen Orten wie bisher. 

In diesem Jahr werden die landesweiten jüdischen Kulturtage am 15. Oktober in Magdeburg eröffnet und am 7. Dezember in Dessau beendet.  Zum ersten Mal finden dabei auch Veranstaltungen in den beiden neugebauten Synagogen statt. Darauf freue ich mich besonders". 
Jüdische Kulturtage 2023
 

 

Das Interview mit Dr. Wolfgang Schneiß gibt es auch bei Instagram:

Welche Aufgaben hat eigentlich Dr. Wolfgang Schneiß - Ansprechpartner für jüdischen Leben und gegen Antisemitismus?

Hier geht es zum Instagram Beitrag.